Sind die Stadtzentren nach der Corona-Krise wieder bereit, von den Menschen genutzt zu werden? Simone d'Antonio vom italienischen Städtetag (ANCI) und dem URBACT National Point in Italien stellt fünf Lösungen vor, um Stadtzentren von Kleinstädten in der Post-Corona-Ära attraktiver zu machen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Stadtzentren zu den Räumen gehören, die am stärksten von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sind und eine bereits vor Corona spürbare Krise in vielen europäischen Einkaufsstraßen verstärkt wurde. Allerdings können viele Charakteristika dieser Stadtzentren potenzielle Motoren sein, um neue Einwohner:innen anzuziehen oder neue wirtschaftliche Möglichkeiten für kleine Geschäfte und andere kommerzielle Aktivitäten zu schaffen.
Wenn man aus einer Großstadt kommt, fällt einem bei der Ankunft in einer kleinen oder mittelgroßen Stadt vor allem die Stille auf, die geringere Aktivität im Vergleich zu der Symphonie aus Hupen, Bussen und unaufhörlichem Hintergrundlärm, die typisch für einen Tag in einem größeren städtischen Kontext ist. Dies gilt auch, wenn man die Partnerstädte der URBACT-Netzwerke besucht, die sich mit der Wiederbelebung kleiner historischer Zentren befassen, wie beispielsweise im Netzwerk City Centre Doctor. Das Netzwerk hat sich in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Dialogforen für kleine und mittelgroße europäische Kommunen entwickelt, die gemeinsame Lösungen für eine Vielzahl von Querschnittsthemen finden wollen, um lebenswerte Kleinstädte für die Zukunft zu gestalten. Umweltschutz, die Förderung des Tourismus, die Wiederbelebung von städtischen Räumen oder wirtschaftliches Wachstum sind nur einige der Hauptanliegen der Städte, deren Zentren zunächst von der Wirtschaftskrise und dann von der Corona-Pandemie betroffen waren. Jede neue Krise erhöht das Risiko der Verödung der Zentren.
San Donà di Piave in Italien ist deutlich kleiner als das nahe
Im Vergleich zu größeren Städten ist es in Kleinstädten insgesamt einfacher, die Aufmerksamkeit der Bürger:innen für diese Fragen zu erhalten. Der soziale Zusammenhalt ist dort in der Regel kleinteiliger und dadurch stärker, und die Kommunalverwaltung kann die Wiederbelebung von öffentlichen Räumen gezielter angehen, um ein neues Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Auch in Kleinstädten können wichtige Ansätze entwickelt werden, um die Innenstädte lebenswerter und integrativer zu gestalten. Diese Erkenntnisse lassen sich dabei oft auf größere städtische Kontexte übertragen.
Die Lösungen und Denkanstöße, die von City Centre Doctor und anderen URBACT-Netzwerken zum Thema der Innenstädte in kleinen und mittelgroßen Städten erarbeitet wurden, haben die nationalen und europäischen Debatten über die Umsetzung der Urbanen Agenda für die EU und die globale Neue Urbane Agenda beeinflusst. Außerdem haben sie zur neuen europäischen Kohäsionspolitik beigetragen. Im Folgenden beschreiben wir fünf wichtige Lektionen aus diesem Austausch:
1. Die Funktionen des öffentlichen Raums für die Wiederbelebung eines Stadtzentrums definieren
Viele Städte konzentrieren sich auf die Nutzung von Freiflächen zum Parken für Autos. Die Erfahrung von Städten wie Amsterdam, Utrecht und Kopenhagen zeigt aber, dass die Reduzierung des für den Verkehr bestimmten Raums einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, eine Stadt lebendiger und lebenswerter zu machen.
Der ideale Weg zur Wiederbelebung eines Stadtzentrums ist die Nutzung großer Flächen, wie Plätze, für eine Vielzahl von Funktionen. Das können auch ungewöhnliche Nutzungen sein, also neben Spielplätzen vielleicht ein Stadtstrand, ein Ort für Kunstinstallationen, Yoga oder Musikveranstaltungen.
In kleinen Städten ist es möglich, zum Konzept des Platzes zurückzukehren und ihn mit neuen Nutzungen zu bereichern. Das Gleiche gilt für Straßen, die zum Beispiel bei Stadtteilfesten in temporäre Open-Air-Märkte umgewandelt werden können oder wie in Medina del Campo in Spanien den Bürger:innen wieder zur Verfügung stehen und zum Radfahren, Spazierengehen, zum Treffen anderer Menschen oder zum gemeinsamen Essen genutzt werden können.
Es geht aber nicht nur darum, dass Straßen zum Gehen genutzt werden können, sondern auch darum, die Straßen zu verschönern: mit Marmor, wie in Portugal, oder mit Straßenkunstwerken, wie in San Francisco oder in Quito in Ecuador. Anlässlich der Habitat III-Konferenz im Jahr 2016 wurde in Quito verschiedenes Stadtmobiliar, wie kreativ gestaltete Bücherregale, Bänke oder Fahrradständer gestaltet. Dies geschah durch schnelles, effizientes testen von Ideen, auch als „taktischer Urbanismus“ bezeichnet.
2. Kleine Inhabergeführte Geschäfte für die Rettung der Stadtzentren fördern
Kann die Ansiedlung von Primark oder McDonald's eine Kleinstadt attraktiver machen? Nicht wirklich, vor allem, wenn man an die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit denkt. Stattdessen sollten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich in den historischen Zentren ein qualitätsvoller Einzelhandel entwickeln kann, der Kreativität in die Kleinstädte bringt und ihnen einen neuen Reiz verleiht. So wird der öffentliche Raum neu definiert, nämlich als Raum, der begehbar und lebenswert ist und Aufenthaltsqualität aufweist. Die Partnerstadt des City Centre Doctor-Netzwerks Heerlen in den Niederlanden hat diese Neudefinition mit der Installation von Straßenkunst versucht und die Stadt so in ein Freilichtmuseum für urbane Kunst verwandelt. Dafür wurde es im Rahmen des URBACT-Programms als „Good Practice“-Verfahren ausgezeichnet.
Viele kleine Zentren konzentrieren sich bereits auf den Erhalt lokaler Geschäfte und die Förderung von Angeboten wie Craft-Bier Brauereien und Bars. Sie legen den Schwerpunkt auf die Qualität der Läden und ihren Waren und die sinnvolle Nutzung des öffentlichen Raums. So vermitteln sie den Bewohner:innen den Eindruck eines attraktiven und lebenswerten Ortes. „Ein Ort muss cool sein, aber man erreicht diese ‚Coolness‘ nur, wenn man bessere öffentliche Räume gestaltet und die Arbeit von Unternehmer:innen richtig unterstützt“, kommentiert Wessel Badenhorst, Leadexperte des City Centre Doctor-Netzwerks.
Läden in der direkten Wohnumgebung haben sich während der Lockdowns als sehr wichtig erwiesen und dazu beigetragen, den Gemeinschaftsgeist in vielen Städten und Dörfern wiederzubeleben. Während der Pandemie wurde dabei auch deutlich, wie zentral diese besondere Kategorie von Läden für das Stadtleben ist. Einige dieser Läden passten in der Zeit auch ihre Angebote an, um dem Aufstieg des Online-Handels einen persönlicheren Kundenservice entgegenzusetzen.
3. Autos aus den Innenstädten verbannen, um sie lebenswerter zu machen
In Kleinstädten sind die Bewohner:innen oft auf das Auto angewiesen, um grundlegende Versorgungseinrichtungen zu erreichen. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die Attraktivität der Innenstädte zunimmt, wenn sie von den Autos verschont bleiben.
Die Frage der Mobilität in Kleinstädten betrifft aber nicht nur die Beförderung der Menschen von einem Ort zum anderen, sondern auch das System des Warentransports. Dies ist insbesondere jetzt relevant, da Online-Plattformen und Kurierdienste die Art und Weise, wie wir einkaufen, selbst in den kleinsten Städten revolutionieren. Eine neue Organisation der Mobilitäts- und Versorgungssysteme würde zum einen die Umweltbelastung verringern und zum anderen die Wahrnehmung der Menschen von ihrer Umgebung verbessern. Die Nutzung von Lastenfahrrädern für ein umweltfreundlicheres Liefersystem anstelle von umweltschädlichen Lastwagen stellt dafür zum Beispiel bereits einen guten Lösungsansatz dar und wird immer beliebter. Mit solchen Angeboten kann dieser Sektor trotz fehlender großer innovativer Verbesserungen stark auf die etablierten Gewohnheiten der verschiedenen Glieder einer Lieferkette einwirken.
Insgesamt lässt sich sagen, dass das Ziel die Menschen von der Abhängigkeit vom Auto zu befreien, zum Eckpfeiler strukturierter und kooperativer Maßnahmen und Politiken wird, insbesondere in Kleinstädten.
4. Junge und ältere Menschen zu Hauptakteur:innen des Wandels in historischen Zentren machen
Junge Menschen und ältere Menschen sind zwei soziale Gruppen, die stärker als andere Gruppen an historische Stadtkerne gebunden sind. Für junge Menschen, die kein Auto besitzen, kann das historische Zentrum zu einem Teil ihrer Identität werden. Wenn dort also nur wenige Aktivitäten geboten werden, wachsen sie womöglich mit dem Wunsch auf, wegzuziehen und ihre kleine Stadt zu verlassen. Wenn man junge Menschen aber über die Zukunft ihrer Heimatstadt entscheiden lässt, kann das helfen sie davon abzuhalten aus ihr „zu fliehen“.
Für ältere Menschen oder Personen, die nicht mehr Auto fahren können, ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung und anderen sozialen Dienstleistungen ein entscheidender Faktor dafür, ob sie in einer Region leben können. Um der Isolation der Personen dieser Altersgruppe entgegenzuwirken und sie in ein soziales Netzwerk einzubinden, bietet das Playful Paradigm Netzwerk gute Lösungsansätze. Das Netzwerk der „Good Practice“-Stadt Udine in Italien fördert den sozialen Zusammenhalt. Durch das URBACT-Netzwerk teilt es seine Erfahrungen mit anderen mittelgroßen Städten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei der Netzwerkarbeit in der Förderung der Beziehungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen durch Programme und Initiativen. Dadurch wird das Zugehörigkeitsgefühl der Menschen zu ihrem Wohnort gestärkt und die Lebensqualität in der Stadt erhöht. Die Aktivistin und Architekturkritikerin Jane Jacobs war der Ansicht, dass eine bessere Stadtplanung von Orten und Räumen ausgeht, die gemeinsam mit den Menschen gestaltet und genutzt werden. Gerade in Stadt- und Quartierszentren gilt dies umso mehr, da hier verschiedenen Gruppen einer Bevölkerung zusammenkommen und gemeinsam daran arbeiten müssen die Umgebung, die die Basis für ihre Gemeinschaft ist, für sie lebenswert zu gestalten.
Insbesondere während der Corona-Krise zeigte sich, wie durch die Zusammenarbeit zwischen den Bewohner:innen verschiedener Generationen eine widerstandsfähige nachbarschaftliche Gemeinschaft in Stadtzentren entstehen kann. Das ist eine Lektion für Städte, die in eine umfassende, integrierte und gemeinwohlorientierte Politik für Stadtplanung und Lebensqualität in den Städten umgesetzt werden sollte.
5. Die Einwohner:innen stolz auf ihren Wohnort machen
Der Aufbau von Vertrauen zwischen den Menschen, um die
Die Vergangenheit eines kleinen Stadtzentrums lässt sich zwar nicht ändern, aber die künftigen Entwicklungen können so ausgerichtet werden, dass sie von einer Ko-Produktion ausgehen, die die Menschen zu Protagonisten der Veränderung und der Gestaltung ihrer Stadtzentren macht. „Niemand besitzt Städte“, sagte Jane Jacobs. Dies gilt mehr denn je in den Stadtzentren, wo kollektives Handeln zu einer gemeinsamen Wiederaneignung von „Governance“, also der Verwaltung und Gestaltung der Stadt, führen kann. Dabei kann jede Einzelperson eine entscheidende Rolle spielen. Wenn die Menschen stolz darauf sind, an der künftigen Entwicklung ihres Wohnortes mitzuwirken, fördert dies auch die Sichtbarkeit und Attraktivität der Kleinstädte. Sie sind die stillen Motoren Europas, das dank dieser lebendigen und pulsierenden Orte wächst. Auch sie bringen in das Zeitalter der Großstädte originelle Visionen und Ideen ein.
Der Artikel basiert zum größten Teil auf dem aus dem Englischen übersetzten Artikel „Five flawless ways to revitalise small town centres“ von Simone d'Antonio.