Die Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“ ist ein im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik gefördertes Projekt. Ganz im Sinne der URBACT-Methode ist ihr Ziel, neue Partnerschaften zu befördern – zu Gunsten einer aktivierenden, kooperativen und gemeinwesenorientierten Entwicklung von Städten und ihren Quartieren. In diesem Bereich setzen sich bereits viele unterschiedliche Akteure tatkräftig ein: Etablierte Protagonisten wie Kommunen, die lokale Wirtschaft oder Immobilienunternehmen genauso wie Akteure aus Zivilgesellschaft, Kreativwirtschaft, Kultur und Soziokultur sowie Intermediäre. Ziel der Initiative ist es, die verschiedenen Akteure miteinander zu vernetzen, Allianzen vor Ort zu bilden und einen bundesweiten Austausch zu fördern und zu kultivieren. Wir sprachen mit Prof. Reiner Schmidt von der Initiative STADT ALS CAMPUS e.V. über die Vernetzungsinitiative, die er gemeinsam mit dem Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung moderiert.
Was macht die Vernetzungsinitiative und was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an „Gemeinsam für das Quartier“?
Das Netzwerk ist in einem langen Dialogprozess mit Akteuren der nationalen Stadtentwicklungspolitik im Geiste der Neuen Leipzig-Charta entstanden. Es fungiert quasi als Reallabor für die Handlungsprinzipien der gemeinwohlorientierten und integrierten Stadtentwicklung, wie sie die Charta propagiert. Was einmalig für das Netzwerk ist, ist die Bandbreite der mitwirkenden Akteure. Wir legen Wert darauf, dass neben den etablierten Akteuren der Stadtentwicklung, also Kommunen, Immobilienentwickler, Wohnungswirtschaft, Dienstleister und Unternehmen, auch die Kultur- und Soziokultur, sowie die Kreativwirtschaft und die zivilgesellschaftlichen Initiativen einbezogen werden.
Wie bei URBACT sind die Vernetzung zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren sowie der Austausch vor dem Hintergrund der gesammelten Erfahrungen für „Gemeinsam für das Quartier“ grundlegend. Allerdings sind die Akteursgruppen bei Ihnen sehr divers und sprechen „unterschiedliche Sprachen“. Vor dieser Herausforderung stehen auch URBACT-Städte, wenn sie Ihre lokale Arbeitsgruppe (URBACT Local Group) zusammensetzen und sich dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Arbeitsfähigkeit und Vielfältigkeit des Inputs ausgesetzt sehen. Welche Tipps können Sie hier geben? Wie kann man die „verschiedenen Sprachen“ wirklich unter einen Hut bekommen?
Es geht darum, eigendynamische Prozesse zu fördern und nicht jemandem zu sagen, was zu tun ist. Das geht nur, wenn man sich mit den Akteuren zu deren Motiven, den Unternehmenskulturen und zu den gesellschaftspolitischen Zielen verständigt. Auf diesem Weg wird es möglich, dass man die unterschiedlichen Sprachen nicht als Hürde sieht, sondern als Bereicherung. Da braucht es auch eine gewisse Neugierde, die bei den Akteuren, die bei uns dabei sind, auch vorhanden ist.
Was genau zeichnet denn „eigendynamische Prozesse“ im Unterschied zur „klassischen“ Partizipation aus?
Es geht uns nicht um Partizipation, sondern um Aktivierung mit dem Ziel der Eigendynamik. Im besten Fall entsteht die von allein. Der Impuls liegt darin, gemeinsam Stadt zu machen. Jeder trägt dazu bei, was er oder sie beitragen kann … und dann entsteht Stadt. Das ist zugegebenermaßen ein etwas vereinfachtes und romantisierendes Bild von Stadtentwicklung, verdeutlich aber, worum es geht und worum nicht: Es geht also nicht um die Stadtgesellschaft als Zuständigkeitsgesellschaft, in dem Sinne, dass für alles irgendjemand zuständig ist, nur nicht man selbst. Das gibt auch den Link zur Kreativwirtschaft. Aus ihr heraus erwachsen ja vielfach solche eigendynamischen Initiativen. Ihre Akteure geben gute Impulse, die dann nur noch in die etablierte Stadtentwicklung und Immobilienentwicklung hinein diffundieren müssen, damit es bei diesem „Stadt machen“ nicht nur um ein „Anhübschen“, oder um „Kunst am Bau“ geht, sondern um die Substanz. Deswegen versuchen wir kreative Szenen mit einzubeziehen und die Dynamik, die sie versprühen, auch auf das Zusammenwirken mit etablierten Akteuren zu übertragen. Die haben wiederum sicherlich eine andere Vorstellung von Eigendynamik, aber das ist der normale Prozess einer Annäherung und irgendwann dann auch der Ko-Produktion und der Ko-Kreation, auf den man sich einlassen muss. Es geht um das eigene Engagement. Also nicht: „ich wünsche mir das und das, Stadt, mach mal“, sondern „wie kann ich dazu beitragen, dass das entsteht, was ich mir wünsche“.
Bei „Gemeinsam für das Quartier“ sowie bei URBACT nimmt das Experimentieren einen großen Stellenwert ein. Experimente können aber auch schiefgehen. Warum also sollte man sich als Stadt Pilotprojekte und Exprimente leisten, wenn man schon genug Pflichtaufgaben zu erledigen hat?
Mal ganz plakativ gesagt: Nur über Experimente kommt man über eingefahrene Verfahrensweisen und Lösungen hinaus. Die Vorreiterinnen und Vorreiter bei den Kreativ- und Kulturschaffenden und auch die Kultur- und Kreativwirtschaftsförderung setzen genau da an. Sie haben das Rüstzeug, um dieses Herauslösen aus Standardlösungen, die man nicht reflektiert und über die man glaubt nicht hinwegzukommen, zu durchbrechen und zu experimentieren. Theater und Museen zum Beispiel sind ideale Labore, um Experimente im geschützten Raum zu starten, die vielleicht noch nicht in einem Reallabor umsetzbar sind. Hier sprechen wir dann von einer „performativen Stadtentwicklung“ - einer unserer vier Handlungsansätze, die wir verfolgen. Dabei geht es unter anderem darum, dass z.B. Theaterschaffende Reflexionsräume schaffen und die „Stadt als Bühne“ verstehen. Auf dieser Bühne kann man dann verfolgen, was zum Beispiel auf brachliegenden Freiflächen und mit leerstehenden Immobilien passieren könnte. Es wird erlebbar gemacht.
Der Gefahr des Scheiterns kann man am besten begegnen, indem man in jedem Scheitern immer auch das Potential sieht und den Erkenntnisgewinn. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Entwicklungsprozesse in kleine Schritte aufzuteilen und in diesen dann mit Reallaboren zu arbeiten. Es gibt Beispiele, wo ein Markt eine Woche temporär umgebaut wurde. Wenn das nicht funktioniert, hat man nur Kosten für zwei Tage in den Sand gesetzt, aber dabei etwas gelernt. Die Pop-Up-Kultur macht genau das bereits. Meiner Meinung nach könnte das noch zielgerichteter angegangen werden, indem alle Akteure auf eine gemeinsam zu entwickelnde Vision hinarbeiten und die Prinzipien einer aktivierenden, kooperativen Stadtentwicklung in Schlüsselprojekten und Schlüsselimmobilien im wechselseitigen Austausch ausprobieren.
Welchen Herausforderungen sind Sie bislang in der Arbeit der Vernetzungsinitiative begegnet? Und welche Lösungsansätze hat die Initiative dafür gefunden?
Wir stehen aktuell vor drei Herausforderungen. Die zentrale Herausforderung ist für uns, die Eigendynamik zu fördern. Dafür gibt es Blaupausen, wie z.B. den Stadtumbau Ost mit dem gleichnamigen Wettbewerb, bei dem alle ostdeutschen Städte in kurzer Zeit ein integriertes Stadtentwicklungskonzept erarbeiten mussten, um Fördermittel für den Stadtumbau zu bekommen und schlüssige Strategien für die Anpassung der Stadtstruktur an aktuelle Entwicklungen umzusetzen. Das ist auch tatsächlich gelungen. Jede Kommune, die wollte, konnte an dem Austausch zu den Herausforderungen und Lösungen teilnehmen. Dafür gab es eine Art Wanderzirkus durch alle ostdeutschen Städte mit großen, sehr gut vorbereiteten Veranstaltungen. Das Thema der Innenstadtstrategie, die neben den Quartieren und Quartierszentren, sowie dem ländlichen Raum und Kleinstädten in unserer Initiative ein zentrales Handlungsfeld ist, bräuchte so einen Austausch. Am Beispiel des Stadtumbaus Ost kann man sehen, wie man so einen Austausch im großen Stil organisieren und Eigendynamik fördern kann.
Eine andere Herausforderung ist es, die erwähnte Ko-Produktion und Ko-Kreation zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu fördern. Das ist nicht immer ganz einfach. Besondere Herausforderungen tauchen z.B. auf, wenn man mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten will. Da gibt es oft auf Seiten der Kunst- und Kulturschaffenden oft den Eindruck, dass man die Kunst instrumentalisieren will und die Absichten nicht offengelegt werden. Darüber muss man reden und dafür sorgen, dass alle Akteure mit ihrem Ansatz und ihrer Motivation zu ihrem Recht kommen. Denn natürlich muss die Kunst ihren künstlerischen Eigenwert behalten, sonst wäre sie zur Dienstleistung degradiert. Also muss man sich darum kümmern, dass es künstlerische Formate gibt, die ihren künstlerischen Wert und ihre Eigenständigkeit behalten, aber gleichzeitig in Hinblick auf ein stadtentwicklungspolitisches Ziel Wirkung entfalten. Das kann man auch durchaus schaffen. Es gibt bereits etablierte Häuser, wie Theater und Kunstmuseen, aber auch freie Gruppen, die diesen Weg offensiv beschreiten. Aber natürlich ist der Weg manchmal noch holprig - und keineswegs eingefahren.
Die dritte Herausforderung besteht darin, mit der Vernetzungsinitiative in die Breite zu gehen und die Vernetzung im vielfältigen Stadtentwicklungsalltag zu befördern - zum Beispiel die verschiedenen Initiativen und Beratungsangebote, die nach und nach zum Thema Innenstadtstrategie aufkommen, zu bündeln. Wir müssen sortieren, welche Netzwerke sind solide und haben nicht nur die Absicht Gewinn abzuschöpfen, sondern auch eine ernst gemeinte Gemeinwesenorientierung. Sonst steht eine Kommune vor einem Berg von Beratungsinstanzen und Portalen – nur zum Thema Innenstadtentwicklung. Da kann ebenfalls die solide Stadtumbau Ost-Strategie als Orientierung dienen.
Welche Erfahrung haben Sie in der Initiative mit dem Einbezug von kleineren Städten? Wie gelingt es, kleinere Städte für die Initiative zu interessieren?
Für kleine Gemeinden ist es – wahrscheinlich ähnlich wie beim transnationalen Austausch im Rahmen von URBACT – nicht einfach, diese zusätzlichen Aufgaben neben den Pflichtaufgaben zu erfüllen. Auch bei uns in der Initiative sind die Kleinstädte in der Minderheit. Ein Ausweg aus dieser Situation wäre es, eine aktivierende Stadtentwicklung gemeinsam mit allen Stadtmacher:innen in kleinen Kommunen als kommunale Pflichtaufgabe zu organisieren. So kann es auch eine kleine Gemeinde schaffen, für diese Aufgaben Personal bereitzustellen, wie es auch größere Kommunen können.
Natürlich haben Verwaltungen kleinerer Städte auch Vorteile: Die Verwaltung ist oft überschaubar, man kennt sich untereinander und auch die relevanten Akteure außerhalb der Verwaltung, sodass Entscheidungen teilweise schneller gefällt werden können. Außerdem gibt es in vielen kleinen Städten zivilgesellschaftliche Netzwerke, privat organisierte Akteure, und Kultur- und Kreativschaffende sowie junge und kreative Szenen, die die Kleinstädte und die Regionen zunehmend als Entfaltungs- und Experimentierfeld für sich entdecken und aktivieren. Die machen meistens schon genau das, was wir mit der Initiative befördern wollen. Dieses Engagement sollte man mehr unterstützen und auch ernst nehmen.
Eine weitere Möglichkeit, die Kommunen in ihren aktivierenden Strategien zu unterstützen, sehe ich in der aktuellen Entwicklung, dass junge Menschen das Leben auf dem Land neu suchen. Das sind zum Beispiel Familien aus der Großstadt, die aus unterschiedlichen Gründen auf das Land ziehen wollen. Diese zivilgesellschaftlich meist engagierten Gruppen setzten sich auch für ihren neuen Heimatort ein. Da geht es genau nicht um das „Cocooning“ der Stadtmenschen auf dem Land, sondern um eine Zusammenarbeit. Dieses Phänomen wurde durch Corona auch bestärkt. Hier gilt es, verlässliche Partnerschaften zwischen Kommunen und diesen kreativen Netzwerken im Sinne von Verantwortungsgemeinschaften für Dorf- und Regionalentwicklung zu fördern. Die Initiative der Zukunftsorte in Brandenburg leisten zu diesem Thema gute Arbeit.
Auch URBACT hat sich ja vorgenommen, in der neuen Förderperiode noch stärker als zuvor kleine und mittlere Städte zu adressieren. Das ist sehr zu begrüßen. Denn gute Beispiele und Vorreiter gibt es schon einige und der Austausch untereinander hilft dabei, dass das Rad nicht ständig neu erfunden werden muss.
Portraitphoto Prof. Reiner Schmidt © Piet Schmidt.
Interview von Lilian Krischer.