Websessions “Europe's Cities Fit for Future” erfolgreich abgeschlossen
Vom 3. bis 18. September 2020 haben sich mehr als 600 Praktiker*innen und Expert*innen aus Stadtentwicklung und Kommunen in ganz Europa im Rahmen der Online-Veranstaltungsreihe Europe's Cities Fit for Future ausgetauscht. Sie diskutierten aktuelle und künftige Ansätze für eine gelungene integrierte Stadtentwicklung und machten deutlich, dass bereits heute viele Städte die Prinzipien der Neuen Leipzig-Charta umsetzen. Dabei kamen Wissenschaftler*innen, Expert*innen und politische Vertreter*innen aller Ebenen zu Wort. Das Ergebnis: Zukunftsfähige Städte in Europa müssen resilient und vernetzt sein sowie Mut zur Veränderung haben. Entscheidend ist dabei vor allem die Ebenen-übergreifende Zusammenarbeit von Städten, Regionen, Mitgliedstaaten und der EU-Kommission. Um handlungsfähig zu sein, brauchen die Kommunen zudem Unterstützung durch EU-Förderung sowie nationalen, regionalen und lokalen Programmen. Die Neue Leipzig-Charta, die im November verabschiedet werden soll, bietet Kommunen dafür einen wichtigen strategischen Rahmen. Die Online-Sessions flankierten die laufende deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Organisiert wurde die Reihe vom Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV) im Auftrag des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Deutschland (BMI).
Auftakt zur Web-Konferenzreihe „Europe’s Cities Fit for Future“ am 3. September
Beim Kick-Off-Event am 3. September 2020 ging es darum, was die Neue Leipzig-Charta zu zukunftsfähigen Städten und Regionen beitragen kann. Was muss die Stadtentwicklung der Zukunft leisten? Tilman Buchholz, stellvertretender Referatsleiter im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und Prof. Silke Weidner von der BTU-Cottbus-Senftenberg stellten die Inhalte der Neuen Leipzig-Charta vor und machten deutlich, dass das Dokument nicht das Ergebnis von Einzelpersonen oder -institutionen ist, sondern in einem breiten Dialogprozess auf nationaler und europäischer Ebene diskutiert und erarbeitet wurde. Die Charta benennt mit Gemeinwohlorientierung, integrierter Stadtentwicklung, Partizipation und Co-Kreation, ortsbasierten Ansätzen und Mehrebenen-Zusammenarbeit fünf Prinzipien, um Städte gerechter, grüner, und produktiver („just, green, productive“) zu machen. Außerdem ruft sie dazu auf, dass Mitgliedstaaten und die EU die Handlungsfähigkeit der Städte mit Politiken und Fördermöglichkeiten unterstützen sollen.
Die Erarbeitung der Charta läuft seit 2018. Mit der Corona-Pandemie haben sich die Vorzeichen allerdings Anfang des Jahres quasi über Nacht verändert. Brauchen wir deshalb eine Leipzig-Charta mit komplett anderen Zielen und Prinzipien? Sowohl parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium als auch Michael Groschek, Staatsminister a. D. und Präsident des Deutschen Verbands für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. (DV) machten deutlich: Auch wenn die Resilienz von Städten mit Covid-19 einen weit höheren Stellenwert erhalten hat und städtische Dichte in einem neuen Licht zu sehen ist, gibt der aktuelle Entwurf der Leipzig-Charta bereits jetzt die richtigen Antworten. Denn eine integrierte, gemeinwohlorientierte und partizipative Stadtentwicklung, die ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele ausgleicht und verknüpft, ist heute wichtiger als je zuvor.
Grundsätzliche Fragen stellte auch Niklas Maak, Autor und F.A.Z-Redakteur, in Bezug auf die Veränderungen der Städte durch das Corona-Virus: „Wie sollen wir in Städten leben? Und wie kann man den freien Raum nutzen, wenn Shopping Malls und Bürotürme verschwinden?“ Seiner Meinung nach muss man diese neuen Freiräume auch als Chancen sehen, um eine Stadt neu zu denken.
Die Neue Leipzig-Charta in der Praxis am 9. September
Praktiker*innen aus ganz Europa zeigten bei der „Translate it into Action-Session“ am 9. September 2020, dass die Prinzipien und Leitbilder der Neuen Leipzig-Charta bereits in vielen Kommunen gelebt werden. In drei Sessions wurden Beispiele für die „grüne“, die „sozial gerechte" und die „produktive“ Stadt vorgestellt. Moderiert wurden die drei thematischen Sessions von den URBACT-Programmexperten Marcelline Bonneau (Green City) und Eddy Adams (Productive City) sowie dem URBACT Lead-Experten Nils Scheffler (Just City).
Hauptprotagonisten waren die Kommunen selbst. So erzählte André Cester Costa von der Stadt Aveiro in Portugal, wie das ehemalige Zentrum der Keramikindustrie sich nach und nach einen Namen als digitales Zentrum macht. So ist Aveiro eine der ersten portugiesischen Städte, die den neuen 5G-Mobilfunkstandard haben. Gleichzeitig zieht die Stadt Technologie-Fachkräfte an. So macht sich die Stadt nach und nach einen Namen als digitales Zentrum. Um „grüner“ zu werden, führte die Stadt Gent in Belgien das autofreie Stadtzentrum ein. Wie das gelang, berichtete Merijn Gouweloose aus der städtischen Abteilung für Verkehr: Der zunächst als Pilot in einem Viertel umgesetzte neue Verkehrsplan leitet die Autos um die Innenstadt herum. Er ist so erfolgreich, dass er nun in sieben weiteren Nachbarschaften in Gent in Zusammenarbeit mit den Anwohner*innen und Ladenbesitzer*innen umgesetzt werden soll. Wie Städte in der Bodenfrage sozial gerechter werden können, zeigte Arthur Cady mit dem Project CALICO aus Brüssel, das im Rahmen eines „Community Land Trust“ (kurz: CLT, auf Deutsch in etwa „Stadtbodenstiftung“) umgesetzt wird. Ein CLT erwirbt Boden, um ihn dauerhaft zu halten, wobei er gemeinschaftlich durch Nutzende, Nachbarschaft und Öffentlichkeit gesteuert wird. Auf einem Grundstück des CLT Brüssel wurde das generationenübergreifende und interkulturelle Wohnprojekt CALICO verwirklicht. Das Projekt bietet wohnungslosen Menschen Raum und umfasst auch Wohneinheiten für ärmere und alleinstehende Frauen. Außerdem gibt es eine gemeinschaftsorientierte Geburts- und Sterbebegleitung sowie einen Gemeinschaftsraum, der für lokale Nachbarschaftsinitiativen offen ist. Die Beispiele dieser Session zeigten anschaulich, dass viele Städte die Neue Leipzig-Charta bereits heute in die Praxis umsetzen. Alle genannten Vorhaben sowie weitere gute Beispiele finden Sie auch in dieser Datenbank (URBACT Knowledge Hub).
Politische Rahmenbedingungen: 18. September 2020
Bei der Sitzung am 18. September diskutierten die Teilnehmer*innen vor allem, welche Rahmenbedingungen künftig auf EU-Ebene notwendig sind, um Kommunen dabei zu unterstützen, die notwendigen Umwälzungen in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Soziales bewältigen zu können. Dr. Susanne Lottermoser, Unterabteilungsleiterin für Stadtentwicklung im Bundesinnenministerium, stellte heraus, dass diese kommunale Handlungsfähigkeit im Zentrum der EU-Rahmensetzung stehen muss, um die Neue Leipzig-Charta umzusetzen und die Gemeinwohlorientierung ins Zentrum der europäischen Stadtentwicklungspolitik zu stellen. Darüber hinaus machte sie klar: Wichtig ist, den von der „Urbanen Agenda für die EU“ angestoßenen Dialog auf Augenhöhe zwischen Städten, Nationalstaaten und der EU-Kommission fortzuführen und weiter zu stärken, damit lokale Belange, aber auch innovative Ideen einen spürbaren Niederschlag in der europäischen Stadtentwicklungs- und Förderpolitik finden. Normunds Popens, Stellvertretender Generaldirektor für Regional- und Stadtpolitik bei der EU-Kommission, betonte zudem, dass die Umsetzung der Neuen Leipzig-Charta für die Europäische Kommission grundlegend sei und dass die Förderung der „Urbanen Agenda für die EU“ und die Inklusion der European Urban Initiative (EUI) hierzu einen Beitrag leisten sollen. Entscheidend wird es auch sein, innovative kommunale Pilotvorhaben wie sie am 9. September vorgestellt wurden, in die Breite zu tragen, mutige Initiativen zu unterstützen und andere Städte zum „Nachmachen“ zu ermutigen. Emmanuel Moulin, Direktor des URBACT-Programms verdeutlichte, dass Förderprogramme wie URBACT zu einem solchen Austausch bereits viel beitragen. Es bringe Städte dazu zu kooperieren und abteilungsübergreifend zusammenzuarbeiten. Vor allem in Zeiten der Pandemie sei deutlich geworden, dass die URBACT-Community sowie die Ideen der Neuen Leipzig-Charta von Relevanz sind. Außerdem hob Nuala Morgan, Leiterin für Kommunikation und Kapitalisierung bei URBACT, für die Zukunft hervor: „Besonderes Augenmerk muss auf kleinere Städte gerichtet werden, die es aufgrund fehlender Strukturen und Erfahrungen aktuell oft schwer haben, EU-Fördermittel zu akquirieren“.
Alle Websessions wurden aufgezeichnet und können hier erneut angeschaut werden.