Am 12. September 2023 trafen sich die fünf deutschen Städte, die am europäischen Förderprogramm für nachhaltige Stadtentwicklung URBACT teilnehmen, mit der Nationalen Kontaktstelle für Deutschland im Rahmen des Bundeskongresses Nationale Stadtentwicklungspolitik in Jena. Ziel des Treffens waren das Kennenlernen und der Austausch der neuen URBACT-Städte. Außerdem gaben die zwei erfahrene URBACT-Teilnehmenden Barbara Bühler-Karpati vom Europareferat der Landeshauptstadt München und der Digital-Experte Steffen Budweg ihre Erfahrungen mit dem Förderprogramm weiter und stellten sich den Fragen der Newcomer-Kommunen. Im Frühsommer 2023 wurden im Rahmen des ersten Calls in der aktuellen Förderperiode 30 neue Aktionsplanungsnetzwerke vom URBACT-Programm genehmigt, wobei in jedem Netzwerk acht bis zehn Partner aktiv sind. Die beteiligten Städte werden nun innerhalb von drei Jahren ein integriertes Stadtentwicklungskonzept für ihr jeweiliges Thema erarbeiten und sich zudem innerhalb der europäischen Netzwerke austauschen und gegenseitig begleiten.
Derzeit sind die Städte Leipzig, Löbau, Mannheim und Solingen als Partner bei URBACT aktiv, München agiert sowohl als Partner als auch als Lead Partner in zwei verschiedenen Netzwerken. Die Stadt Leipzig beschäftigt sich in ihrem Netzwerk „AR.C.H.ETHICS“ mit „unbequemem Kulturerbe“. Dazu zählen zum Beispiel Orte, Bauwerke und Ensembles, die in Zusammenhang mit nationalsozialistischen, faschistischen oder sozialistischen Regimen stehen oder Zeugnisse von Krieg und Verfolgung sind. In der Bevölkerung sind diese Orte mit unangenehmen Erinnerungen belegt. Auf dem Leipziger Matthäikirchhof, der in den 1950er Jahren von der Staatssicherheit der DDR genutzt wurde, soll der Öffentlichkeit im Rahmen des URBACT-Netzwerks Raum gegeben werden sich den Ort neu anzueignen und eine neue Identität für ihn zu finden.
Die Stadt Löbau, gelegen in der sächsischen Oberlausitz, hat 14.500 Einwohnende und nimmt zum ersten Mal am URBACT-Programm teil. Sie will mit dem Netzwerk „GreenPlaces“ eine brachgelegene, vergessene Fläche neben dem „Haus Schminke“ umwelt- und bewohnerfreundlich revitalisieren. Das Gebäude von 1933 gilt als eines der vier wichtigsten Wohnhäuser der Klassischen Moderne weltweit. Das Löbauer Nudelfabrikanten-Ehepaar Fritz und Charlotte Schminke beauftragte den Architekten Hans Scharoun mit Entwurf und Bau, zu dessen späterem Werk auch die Philharmonie in Berlin zählt.
Die Stadt Mannheim beschäftigt sich im Netzwerk „Cities for Sustainability Governance“ (CSG) mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). Bisher ist es keiner europäischen Stadt gelungen, diese umzusetzen. Gründe sind z. B. das fehlende gemeinsame Verständnis einer nachhaltigen Entwicklung, wenig Möglichkeiten, die Gemeinschaft einzubinden oder zu wenig Kommunikation. Mannheim möchte deswegen lokal angepasste Governance-Prozesse und -Instrumente entwickeln, um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung umzusetzen.
Auch die Stadt Solingen beschäftigt sich, vertreten durch die Neue Effizienz gemeinnützige GmbH, mit den SDGs: Im Netzwerk „In4Green“ geht es um die Umsetzung des grünen Wandels in Industriestädten oder -gebieten bei gleichzeitiger Wahrung von Wettbewerbsfähigkeit und Integration. In Solingen soll dafür an Unterstützungsangeboten für Unternehmen vor Ort gearbeitet werden, sodass sie ihre Produktionsprozesse umstellen können. Daneben sollen auch junge Menschen und die Kreativbranche dazu bewegt werden, sich bei der Umsetzung des grünen Wandels in der Industrieregion zu engagieren.
Mit dem Netzwerk „Let’s go circular“ will die Stadt München (Referat für Arbeit und Wirtschaft) als Leadpartner die Transformation zur zirkulären Stadt angehen. Dafür soll eine ganzheitliche Kreislaufwirtschafsstrategie erarbeitet werden, die auf dem Münchner Zero-Waste-Konzept und dem URGE-Aktionsplan „Zirkuläres Bauen“ aufbaut. Als Partner im Netzwerk „ONCE“ möchte die bayerische Landeshauptstadt (Gesundheitsreferat) eine sogenannte One-Health-Policy in die „Fachleitlinie Gesundheit“ aufnehmen. Das One-Health-Konzept geht davon aus, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt in einem engen Zusammenhang steht und fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften. Die Münchner Fachleitlinie ist Teil des Stadtentwicklungskonzepts „Perspektive München“ und wird derzeit mit verschiedenen Referaten und mit Partner:innen im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich, der Fachöffentlichkeit und den Münchner:innen aktualisiert. Ziel ist eine gesundheitsorientierte Stadtentwicklung in München, die den One-Health-Ansatz integriert.
Was müssen Städte, die zum ersten Mal an einem URBACT-Netzwerk teilnehmen, beachten? Was sind Erfolgsfaktoren? Steffen Budweg leitete im 2022 abgeschlossenen URBACT-Netzwerk „ActiveCitizens“ die lokale Unterstützungsgruppe im Auftrag der Stadt Dinslaken. Die ULGs – URBACT Local Groups, sind Gruppen von lokalen Stakeholdern, die jede URBACT-Stadt etablieren muss, um die relevanten ansässigen Akteure und Institutionen in die Erarbeitung des jeweiligen Stadtentwicklungskonzeptes einzubeziehen. Budweg betonte, wie wichtig es sei, den Bürger:innen, gerade wenn sie ehrenamtlich engagiert sind, auch Zwischenergebnisse der URBACT-Projektarbeit zu präsentieren, damit sie sehen, dass ihre Mithilfe bzw. die europäische Arbeit in ihrem direkten Umfeld wirkt. Gute Erfolge konnte Dinslaken mit einem Hackaton erzielen, bei dem innerhalb eines Wochenendes eine App entwickelt wurde, mit der Jugendliche mit ihren Smart Phones Missstände in der Stadt (kaputte Straßenlampen, überfüllte Mülltonnen etc.) direkt tracken können. Auch Preise wie der Bundespreis kooperative Stadt, den die Stadt Dinslaken gewonnen hat, seien positive Rückmeldungen an die Beteiligten. Barbara Bühler-Karpati, die für die Stadt München bereits das „URGE“-URBACT-Netzwerk umgesetzt hat, hob hervor, dass es darauf ankomme, das Programm zu nutzen, um durch das erstellte integrierte Handlungskonzept die bearbeiteten Themen in der Stadt zu verankern und Verbindlichkeit zu schaffen.
Insgesamt zeigten sich alle teilnehmenden Städte sehr zufrieden mit dem Austausch. Ein nächstes nationales Vernetzungstreffen ist für das Frühjahr 2024 vorgesehen.
Fotos:
1. Teilnehmende deutsche Städte der URBACT-Aktionsplanungsnetzwerke in Jena.
2. Julia Bojaryn, ULG-Koordinatorin der Stadt Löbau, stellt das Netzwerkthema in Löbau vor.
3. Barbara Bühler-Karpati, Projektkoordinatorin des Netzwerks "LET'S GO CIRCULAR" in München, präsentiert das Netzwerkthema und berichtet aus ihrer Erfahrung beim URGE-URBACT-Netzwerk in München.
4. Steffen Budweg, Leiter der lokalen Unterstützungsgruppe (ULG) beim Netzwerk "ActiveCitizens" in Dinslaken, berichtet von seiner Erfahrung mit der ULG-Gruppe.
© Yaqin Si