Wie ist die Situation der ukrainischen Städte ein Jahr nach der Invasion Russlands?

Ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine führt URBACT ein Interview mit Nataliya Lazarenko vom Verband der Ukrainischen Städte (Association of Ukrainian Cities, AUC).

Natalja Lazarenko arbeitet als Managerin für internationale Zusammenarbeit beim Verband der Ukrainischen Städte (AUC), dem 1992 gegründeten gesamtukrainischen Verband der Kommunalverwaltungen. Heute gehören dem Verband 1.002 Gemeinden aus allen Regionen des Landes an, in denen mehr als 90 Prozent der ukrainischen Bevölkerung leben. Der AUC ist das offizielle Sprachrohr der lokalen Regierungen, der Motor der Reformen. Er ist auch Partner des ukrainischen Parlaments, der ukrainischen Regierung, des Präsidialamtes der Ukraine und internationaler Organisationen wie dem Rat der Gemeinden und Regionen Europas (CEMR). Natalyia Lazarenko und die Initiative „Stand with Ukraine“ waren auch auf dem URBACT City Festival im Juni 2022 vertreten, wo eine Sondersitzung zum Thema „How to welcome Ukrainian residents in your city“ stattfand.

Wie sehen Sie die Situation heute, ein Jahr nach der Invasion des ukrainischen Territoriums?

Das vergangene Jahr brachte viel Schrecken in unser Leben, zwang Millionen von Menschen, ihre Häuser zu verlassen, tötete Tausende von Zivilist:innen, beschädigte oder zerstörte tausende von Wohnhäusern, Straßen, hunderte von Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Kirchen, kulturellem Erbe ... aber es hat uns geeint. Wir haben eine klare Vision und einen klaren Wunsch: den Krieg zu gewinnen, alle unsere Gebiete innerhalb den Grenzen von 1991 zurückzuerobern, unsere Menschen nach Hause zu bringen, Seelen und Wunden zu heilen, unsere Gemeinden wiederaufzubauen und unsere zukünftige Entwicklung zu fördern. Sie hat uns auch gezeigt, dass die Ukraine in diesem Kampf nicht alleine ist. Die Welt steht auf unserer Seite.
 

Es war für uns alle ein sehr schwieriges Jahr, weil wir uns auf ziemlich unvorhergesehene oder plötzliche Veränderungen einstellen mussten. Zum Beispiel sind wir seit Oktober 2022, nach regelmäßigen massiven Raketenangriffen, regelmäßig mit Stromausfällen konfrontiert, bei denen wir viele Stunden ohne Strom sind. Das hat große Auswirkungen auf unser Leben und unsere Arbeit, aber wir tun unser Bestes, um damit fertig zu werden. Viele wichtige Maßnahmen wurden natürlich zusammen mit unseren internationalen Partnern umgesetzt. Dank ihrer Unterstützung konnten die Gemeinden mit energieerzeugenden Geräten ausgestattet werden. An dieser Stelle möchte ich den europäischen Kommunen und Unternehmen dafür danken, dass sie so schnell, und hilfsbereit waren.
 

Dennoch brauchen viele Gemeinden Hilfe. Viele von ihnen haben keinen Strom, kein Gas und kein Trinkwasser. Binnenflüchtlinge brauchen neue Häuser, und einige Gebiete sind immer noch von Invasoren besetzt. Wir sind immer noch mit Raketenangriffen konfrontiert. Es gibt noch viele Herausforderungen. Aber wir fühlen uns tatsächlich stärker als vor einem Jahr. Wir sind stolz auf unser Volk. Wir sind allen Ländern dankbar, die uns beistehen. Es tut uns leid, dass wir um Hilfe bitten müssen, aber wir sind überzeugt, dass wir um der Sicherheit der Welt und der demokratischen Werte willen gewinnen müssen.
 

Ich möchte auch besonders darauf hinweisen, dass seit Beginn des Krieges 59 lokale Regierungsbeamte vom russischen Militär entführt worden sind. Unter ihnen befanden sich 35 Bürgermeister:innen, von denen sich heute noch fünf in Gefangenschaft befinden. Wir drängen auf die Freiheit unseres Volkes.

Wie sehen und stellen Sie sich die Zukunft der ukrainischen Städte vor?
 

Ich träume von friedlichen, gut entwickelten und komfortablen ukrainischen Städten, Gemeinden und Dörfern mit glücklichen Bürger:innen. Außerdem träume ich von einer Zeit, in der die Ukraine ihre eigene internationale Entwicklungsagentur hat, wie die United States Agency for International Development (USAID) oder die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), und Projekte durchführt, um ihre Best Practice Erfahrungen mit anderen Ländern zu teilen.

Wie können europäische Städte die Ukraine und die ukrainischen Einwohner:innen unterstützen?

Letztes Jahr wurde von der Stadt Sindelfingen eine spezielle Initiative www.cities4cities.eu ins Leben gerufen, die vom Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates, dem Rat der Gemeinden und Regionen Europas und dem Verband der ukrainischen Städte unterstützt wird. In diesem Jahr wird diese Initiative erweitert, und Sie werden die vollständigen Profile der ukrainischen Kommunen sehen können, die langfristige Beziehungen aufbauen möchten. Wenn Sie also helfen möchten, wenden Sie sich bitte an den Verband der ukrainischen Städte (AUC). Wenn Sie eine Partnergemeinde finden möchten, wenden Sie sich bitte an auc.communities@gmail.com. Wir brauchen Ihre Hilfe, um den Krieg zu gewinnen und unsere Städten wieder aufzubauen. Unsere Kommunalverwaltungen bereiten gerade Projekte für ihren Wiederaufbau vor.

Im Moment sind die Grundbedürfnisse der ukrainischen Gemeinden folgende:
 

- Entwicklung von Partnerschaftsbeziehungen zwischen Städten anderer Länder;

- Teilnahme an Projekten für den schnellen, mittelfristigen und langfristigen Wiederaufbau und die Entwicklung;

- Bau von Wohnungen, Luftschutzbunkern, dafür notwendige neue Technologien, Baumaterialien;

- Energiesparende Technologien, Wasserreinigungstechnologien;

- Kommunale Ausrüstung und Transport;

- Medizinische Ausrüstung.
 

Sie können auch den Verband der ukrainischen Städte als Vertreter der gesamten lokalen Verwaltung in der Ukraine unterstützen. Außerdem ermutigen wir die Kommunen, Partnerschaften mit den ukrainischen Kommunen einzugehen. Ich danke URBACT, dass wir über das Programm unsere Botschaft kommunizieren können, und hoffe, dass wir die Zusammenarbeit mit europäischen Städten in Zukunft ausbauen und verstärken können.

Arbeiten Sie für eine europäische Stadt? Setzen Sie sich mit dem Verband der ukrainischen Städte unter auc.communities@gmail.com in Verbindung, um eine Städte-Partnerschaft aufzubauen. Die aktuelle offene Ausschreibung von URBACT für Aktionsplanungsnetzwerke ist auch eine einmalige Chance für förderfähige Partner, eine ukrainische Stadt als Beobachterin im Netzwerk einzuladen, an ihrer Reise teilzunehmen. Gemeinsam stehen wir für die Ukraine ein!

Der Artikel basiert auf dem aus dem Englischen übersetzten Artikel „How Ukrainian cities stand up a year after Russia’s invasion?“. Übersetzung von Alexandra Heitplatz.